BLUES GOES JAZZ (2) – LEFT-HAND-VOICINGS (Heft '96/03)

Der Übersichtlichkeit halber bleiben wir vorerst bei dem gemäßigt erweiterten Bluesschema, das nicht nur im "reinen" Jazz-Blues sehr häufig gespielt wird.

Die zwei Tonarten C und F sind als Vertreter für zwei prinzipiell unterschiedliche Tonlagen zu betrachten, die in Bezug auf die Grundstellungen ihrer Akkorde möglichst weit voneinander entfernt sind. Left-Hand-Voicings können ja nicht beliebig transponiert werden, da sie dabei ihre Tonlage zum Teil drastisch verändern würden. Voicings, die in C-Dur optimal klingen, würden in F-Dur entweder eine Quinte tiefer sein und demzufolge „muffeln“, oder könnten in höherer Oktavlage, also eine Quarte höher als das C-Dur-Voicing, den Spielraum der rechten Hand stark einengen und dabei außerdem oft nicht den idealen Sound haben.
Einige Halbtonschritte nach oben oder nach unten lässt sich ein Voicing jedoch schon mal verschieben, ohne dabei sehr an Qualität einzubüßen. So lassen sich also aus zwei recht optimalen Möglichkeiten für die Tonarten C- und F-Dur alle möglichen Kombinationen für andere Lagen bzw. andere Blues-Schema-Varianten ableiten.  

Die Tritonus-Voicings als einfachste und gleichzeitig flexibelste Vertreter für Dur-Septimen-Akkorde waren im vorigen Beitrag in den Notenbeispielen 5 und 6 schon zu sehen. Hier haben wir bei der Transponierung auch am wenigsten Probleme, da das Voicing einfach nur umgekehrt werden muss. Die 2-stimmigen Voicings eignen sich aber nicht unbedingt immer. Auf der Orgel klingen sie in der Regel noch am besten, da dort ein transparenterer Klang für eine Begleitung mit der linken Hand meistens günstiger ist, als fette, vielstimmige Akkorde.

Auf dem Piano wirken, je nach Stilistik, dreistimmige Voicings meistens interessanter und spannungsvoller. Voraussetzung ist aber, dass das Prinzip des Weglassens von Grundton und oft auch Quinte beibehalten wird und dass statt dessen, neben den „starken“ Akkordtönen Terz und Septime (oder auch Sexte), ausgesuchte Erweiterungs-Intervalle mit enthalten sind. Da bietet sich in vielen Fällen die None an. Aber von mindestens gleicher Bedeutung ist ein Voicing, das zusätzlich zum Tritonus noch einen Ton enthält, der eine reine Quarte über dem oberen Tritonus-Ton liegt. Diese Art Voicings lassen sich teilweise ähnlich handhaben, wie die zweistimmigen Tritonus-Intervalle, wobei die chromatischen Rückungen hier aber keine Umkehrungen mit sich bringen und daher, in Abhängigkeit von der Tonart, unterschiedlich behandelt werden müssen. Die Töne der Voicings bilden dann in Verbindung mit dem jeweiligen Grundton entweder einen 7/b10- (bzw. 7/#9-), einen 7/13- oder einen Moll-6/9-Akkord.

Notenbeispiel 2 könnte in einer weiteren Variante, statt mit einem dreistimmigen C7/9- oder C6/9-Akkord auch mit einem solchen Akkord in gleicher Lage beginnen, das dann C7/b10 (bzw. C7/#9) heißen müsste. Es würde im zweiten Takt dann lediglich um einen Halbton nach unten zu F7/13 gerückt werden.

MIDI-Files: F Var. 1, F Var. 2F Var. 3

MIDI-Files: C Var. 1, C Var. 2, C Var. 3

Die Notenbeispiele 1 und 2 zeigen insgesamt je drei Varianten für die linke Hand und eine typische Walking-Bass-Linie. Variante 1 ist - zum übersichtlicheren Vergleich - identisch mit den 2-stimmen Voicings aus dem vorigen Beitrag. Darauf bauen die Varianten 2 und 3 auf, die bewusst nicht vordergründig aus einfachen chromatischen Rückungen der oben beschriebenen Voicings bestehen, sondern zeigen, wie davon abweichende Möglichkeiten von Akkord-Erweiterungen ohne große Sprünge in andere Lagen umgesetzt werden können. Beide Notenbeispiele sollten als Anhaltspunkt für die Bildung zahlreicher anderer Varianten in anderen Tonarten oder mit anderen Harmoniefolgen ausreichen.

Die Beispiel-Improvisation der rechten Hand hat hier vor allem die Bedeutung, den eigentlichen Sinn der Left-Hand-Voicings als Begleitung deutlich zu machen. Im Sinne unseres Themas ist die linke Hand dazu hier ohne jede rhythmische Raffinesse eingesetzt. Natürlich spielt man in der Praxis die Begleitakkorde keineswegs immer auf den schweren Zählzeiten, sondern erzeugt dabei, interaktiv mit der rechten Hand, komplementäre rhythmische Werte.

Im nächsten Beitrag werden, noch einmal mit den gleichen Bluesschema-Varianten, solche rhythmischen Interaktionen mit noch anderer Melodik im Mittelpunkt stehen. Dabei wenden wir uns dann zunehmend bestimmten Möglichkeiten spannungvoller Alterationen im melodischen Bereich zu.    

 

© 1996 by Wolfgang Fiedler