DIE RECHTE HAND (2) – Skalen, Licks & Übungen (Heft 11/'95)
Um sich sowohl mechanisch als auch gedanklich von den (angenommenen) Grundtönen pentatonischer Skalen, wie sie im vorigen Beitrag dargestellt waren, unabhängig zu machen, kann und sollte man diese in möglichst vielen Varianten trainieren. Eine wichtige Möglichkeit dabei ist die Aufteilung der Skalen in Sequenzen, die sich im Fünf-Finger- Raum – also auch als Akkorde – spielen lassen.
Jede Skala, ob diatonisch oder pentatonisch, kann ja bekanntlich „modal“ betrachtet werden. Das heißt, dass ihre tonale Zusammensetzung beibehalten und lediglich der Grundton geändert wird. Im Zusammenhang mit z. B. der C-Dur-Tonleiter kann dies eine Reihe von Bezeichnungen wie F-lydisch, G-mixolydisch, D-dorisch, A-aeolisch usw. zur Folge haben.
Bei der Pentatonik (und der erweiterten Pentatonik) haben wir bisher nur von Dur- und Moll-Pentatonik gesprochen. Darüber hinaus ergeben sich andere „Modi“, wenn z. B. die G-Moll (Bb-Dur)- oder die D-Moll- (F-Dur)-Pentatonik über dem Grundton c erklingt. So lässt sich zumindest jeder der 5 Töne einer Pentatonik zum Grundton erklären. Umgekehrt betrachtet kann über einem gleichbleibenden Grundton zumindest jede pentatonische Skala erklingen, in der dieser Ton enthalten ist. Ob das tatsächlich geschieht, hängt natürlich vom Stil und Feeling der jeweiligen Musik ab. In der „modalen Spielweise“ des Jazz wird, wie der Name schon sagt, von einem solchen Umgang mit Skalen besonders intensiv Gebrauch gemacht.
Die Modi der Pentatonik und der erweiterten Pentatonik können im o. g. Sinne Grundlage unzähliger Übungen sein, die zwar zunächst langweilig und „akademisch“ wirken, letztlich aber den eingangs erwähnten Zweck erfüllen – also eine gewisse Routine im Umgang mit pentatonischen Elementen herausbilden helfen und die dazugehörige pianistische Technik fördern. Außerdem kann man der Stupidität solcher Drills auch einen Vorteil unterstellen: Im Gegensatz zu musikalisch interessanteren Licks kommt man kaum in Versuchung, so etwas gedankenlos in der Improvisation unterzubringen.
Die Notenbeispiele 1 bis 9 lassen ahnen, wie viele Varianten solcher Übungen möglich sind. Abgesehen von den anderen Tonarten (hier habe ich mal den Grundton a gewählt), in die man diese Drills natürlich auch transponieren sollte, gibt es ja noch die ternäre Rhythmik, auf der dann die Übungen im nächsten Heft vorwiegend aufgebaut sein werden.
Die Notenbeispiele 10 bis 12 stehen noch einmal für die Vielzahl von Verknüpfungsmöglichkeiten erweiterter Pentatonik-Fragmente untereinander, deren Umsetzung von den vorangegangenen Übungen unterstützt wird. Diese in andere Tonarten zu übertragen, erfordert allerdings ein wenig mehr Flexibilität hinsichtlich der Fingersätze bzw. das Modifizieren der Licks in Abhängigkeit von der Tonart.
Um möglichst deutlich zu zeigen, dass ein nur kleiner Ausschnitt des musikalischen Spektrums mit vielen, nur wenig variierten Drills geübt werden kann, habe ich alle Übungen aus konsequent ähnlichen Sechzehntel-Sequenzen (leicht „angeswingt“) in immer dem gleichen Tempo (in meinem Falle 100 bpm) gestaltet. Es gilt also auch hier wieder: Je mehr davon abweichende Varianten gefunden werden, die mit unterschiedlicher Begleitung, verschiedener Rhythmik, in allen möglichen Tempi und mit den verschiedensten Sequenz-Strukturen trainiert werden, desto lückenloser ist die daraus resultierende Spieltechnik.
© 1995 by Wolfgang Fiedler