DIE RECHTE HAND (6) – ÜBEN MIT SYSTEM (Heft 07/‘96) 

Licks und Skalen konsequent durch alle Tonarten zu üben, erfordert eine Menge Disziplin. Oft fragt man sich ja auch zurecht, ob das immer unbedingt nötig ist, denn vielfach spielt man in Musikrichtungen wie eben z. B. Blues, je nach Prioritäten in der Besetzung (Gitarre oder Bläser), sowieso vorzugsweise in bestimmten Tonarten.
Für die allgemeine improvisatorische Unabhängigkeit bringt es allerdings ungeahnte Vorteile, wenn nicht nur das Beherrschen motorischer Abläufe, sondern auch der Überblick über harmonische Zusammenhänge in allen Tonarten möglichst auf gleichem Niveau vorhanden ist. Hier handelt es sich natürlich um einen Idealzustand, den man vielleicht nie erreichen, wohl aber anstreben kann.

Ein nicht zu verachtendes Hilfsmittel dabei ist die Möglichkeit, Übungen so zu konzipieren, dass dabei Tonartwechsel bereits von vorn herein eingeplant sind. So kann man den Licks oder Sequenzen harmonische Abläufe (Kadenzen, Modulationen etc.) zugrunde legen, die auf mehr oder weniger elegante Weise ganz automatisch durch viele Tonarten führen. Am effektivsten sind dann die Drills, in denen angenehme und schwierige Tonarten nicht mehr musikalisch losgelöst voneinander vorkommen. Dann muss nicht jede unbequeme Tonart aus purer Einsicht in die Notwendigkeit durch erneutes Starten der gleichen Übung in transponierter Form durchgezogen werden, und die Versuchung ist somit geringer, diese Tonarten wegzulassen oder nur halbherzig zu üben.

Die Notenbeispiele 1 bis 4 deuten unterschiedliche Systeme an, nach denen Licks und Sequenzen in harmonische Folgen eingebunden werden können.
Die einfachste Lösung sehen wir im Notenbeispiel 1, wo immer die gleiche Melodik-Sequenz lediglich mit den Grundtönen gerückt wird. Dabei gliedert sich auch die Harmonik in 8-taktige Sequenzen, wobei der jeweils letzte Akkord in der Folge eine Dominant-Funktion ausübt, die kurzerhand zur Tonika der nächsten Folge umgedeutet wird. Auf diese Weise bewegen wir uns letztlich doch wieder im Quintenzirkel.

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Anders verhält es sich bei den Notenbeispielen 2 und 3. Beide haben gemeinsam, dass die Grundtöne der harmonischen Sequenzen im Abstand von kleinen Terzen wechseln und dass, um alle Tonarten abzudecken, jede Übung von 3 unterschiedlichen Ausgangstonarten aus gespielt werden muss (Variante 1, 2 und 3).

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Um das etwas näher zu erklären: Im Notenbeispiel 2 folgt auf den ersten Akkord eine Dominante (der parallelen Molltonart des ersten Akkordes), die dann aber zum Dur-7-Akkord auf dem Grundton dieser Moll-Parallele auflöst. Dieser ist gleichzeitig wieder der Ausgangsakkord für die nächste zweitaktige Progression, die von den Grundtönen her gegenüber der ersten dann eine kleine Terz tiefer liegt. Pro Variante gibt es demzufolge 4 verschiedene Tonstufen, auf denen die funktional gleiche Harmoniefolge abläuft.

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Im Notenbeispiel 3 wirkt ein ähnliches Prinzip, lediglich von der Richtung her umgekehrt. Hier besteht jede Progression aus 5 Takten, in denen über verschiedene Stufen in eine Tonart aufgelöst wird, deren Grundton gegenüber der Ausgangstonart eine kleine Terz höher liegt. Für die Anzahl der Tonstufen innerhalb einer Übungsvariante gilt also das gleiche wie in Notenbeispiel 2.

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Im Notenbeispiel 4 haben wir dann noch eine Sequenz aus zwei Akkorden, die mit jedem Mal eine Ganzton-Stufe höher klettert. Dadurch benötigen wir 2 Varianten der Übung mit je einer unterschiedlichen Ausgangstonart, um sämtliche Tonarten zu erfassen.

In den Notenbeispielen 2 bis 4 wurde hier aus Platzgründen auf die Darstellung der linken Hand im zweiten Notensystem verzichtet. Bei der ersten Beschäftigung mit den Sequenzen ist es ohnehin besser, wenn die linke Hand zunächst wie im Notenbeispiel 1 nur zur klanglichen Verdeutlichung des harmonischen Geschehens benutzt wird – also mit einem minimalen Aufwand. Das ist schon deswegen notwendig, weil die ständigen Tonartwechsel und die damit verbundene Vielfalt in den Fingersätzen die gesamte Konzentrationsfähigkeit in Anspruch nehmen.

Bei den hier gezeigten Möglichkeiten harmonischer Abläufe handelt es sich nur um eine mehr oder weniger zufällige Auswahl, die – und das sollte man immer beachten – auch von der Melodik der Sequenzen bestimmt wird. Um eigene Muster für derartige Übungen zu stricken, ist der einfachste Weg zunächst das Entwickeln einer Akkordprogression, die in vergleichbarer Weise periodisch durch etliche Tonarten führt. Darauf setzt man dann Licks, die von ihrer Tonfolge her einen möglichst nahtlosen Übergang zum gleichen Lick in der anderen Tonart schaffen. Natürlich kann man auch zu den hier gezeigten Akkordfolgen weitere Melodie-Varianten entwickeln.  

Damit nicht genug der Möglichkeiten, das Vorhandene zu variieren. So lassen sich die Notenbeispiele 1 bis 4 als eine Art „Rohmaterial“ betrachten, das in rhythmischer Hinsicht noch ausgeschlachtet werden kann. Voraussetzung ist natürlich, dass das Rohmaterial erstmal ausreichend beherrscht wird. Was dann damit geschehen kann, sollen die Notenbeispiele 5 und 6 andeuten:

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Das Notenbeispiel 5 ist, ähnlich wie die Notenbeispiele 1 bis 4, zunächst nur das Schema eines harmonischen Ablaufs (hier mal ohne Wechsel in eine andere Tonart) mit den Tönen der Melodie. Letztere ist auch hier zunächst als Achtelkette angelegt, die dann aber im Notenbeispiel 6 „rhythmisiert“ wird. Hier mit Triolen als Grundlage, die nun auch von der linken Hand entsprechend unterstützt werden, bekommen das Pattern hinsichtlich seiner Spannung eine neue Qualität. Wenn es gelingt, andere bisher gezeigte Übungen in ähnlicher Weise mit musikalischer Spannung zu versorgen, kann systematisches Üben auch richtig Spaß machen.

 

© 1996 by Wolfgang Fiedler