DIE RECHTE HAND (5) ... und wieder Drills (Heft 06/’96)

Die praktischen Aspekte der Diskussion zum Begriff „Bluestonleiter“ (s. voriger Beitrag) offenbaren sich spätestens dann, wenn es darum geht, diese Tonleitern als solche zu üben.

In Anbetracht der Möglichkeit, aus geeigneten Skalen technische bzw. motorische Übungen für‘s Improvisieren zu entwickeln, sollte aber die typische Bluesmelodik über Dur-7-Akkorde auf jeden Fall berücksichtigt werden. Wenn wir die anderen bekannten diatonischen und pentatonischen Skalen (einschließlich der von mir als „erweiterte Pentatonik“ bezeichneten) betrachten, fällt auf, dass darunter keine ist, die gleichzeitig die kleine und große Terz sowie die kleine Septime und ggf. noch die flated fifth (verminderte Quinte) beinhaltet. Dies sind aber genau die Töne, die in einer traditionellen Bluesmelodie über die Dur-Tonika häufig erklingen.

Im Notenbeispiel 1 sind noch einmal die Töne dargestellt, die zur Melodiebildung über einen C7-Akkord in die engere Wahl kommen können (s. auch im vorigen Beitrag das Notenbeispiel 9), wobei die o. g. „entscheidenden“ Töne hervorgehoben sind. Eine im Jazz wichtige Tonleiter – die Halbton-Ganzton-Skala, die z. B. bei alterierten Dominantfunktionen zur Anwendung kommen kann (s. Heft 4/96) – beinhaltet zwar auch die markierten Intervalle (ansonsten 'c#' statt 'd' und kein 'f'), hat aber bestenfalls für den Jazz-Blues und dabei gebunden an spezielle harmonische Situationen eine Bedeutung.

Die Moll-Pentatonik, die auch mit der zusätzlichen flated fifth erweitert werden kann und von mir dann als „erweiterte Moll-Pentatonik“ bezeichnet wird, ist zwar als Tonmaterial für die Improvisation äußerst brauchbar und wird daher auch gerne als Bluestonleiter bezeichnet. Diese Skala hat aber in Verbindung mit der kleinen Septime nicht die große Terz anzubieten. Gerade letztere ist aber entscheidend für das Spielen mit der tonalen Spannung der Blue Note.

Im Umgang mit Blue Notes wird in der Regel von der kleinen zur großen Terz gewechselt, egal ob die melodische Bewegung insgesamt aufwärts oder abwärts verläuft. Auch insofern lassen sich die sonst brauchbaren Tonleiter- und Sequenzübungen, wie sie z.B. in den Heften 10/95 und 11/95 unter Verwendung einfacher und erweiterter pentatonischer Tonfolgen dargestellt wurden, nicht einfach auf die Bluestonalität übertragen. Musikalisch sinnvoller sind da eher Licks oder Pattern, die dem typischen Melodieverlauf entsprechen.
Da es für ein virtuoses und gleichzeitig spannungsvolles und flexibles Improvisieren in allen Blues-verwandten Stilen auf jeden Fall nützlich ist, eben gerade diese von den mehr oder weniger reinen pentatonischen Phrasen abweichenden Tonfolgen „in den Fingern zu haben“, möchte ich an dieser Stelle eine kleine Serie von Pattern und Licks mit der Dur-7-Bluestonalität für die rechte Hand anfügen, quasi in Fortsetzung der Übungen in den Heften 10/95 bis 1/96. Somit gilt auch hier wieder, dass für die Rhythmik (binär, ternär), für die Begleitung mit der linken Hand und für die Reihenfolge der Tonartwechsel möglichst viele unterschiedliche Varianten entwickelt werden sollten. Im Interesse der Überschaubarkeit habe ich zunächst Achtelketten gewählt, die aber (mit entsprechenden Veränderungen) auch als Triolen oder swingend gespielt werden sollten.

Wichtiger als die Darstellung möglichst vieler rhythmischer und stilistischer Variationen erschien mir, meine Versionen der verschiedenen Fingersätze in allen Tonarten zu zeigen. Natürlich sind diese keineswegs verbindlich und können beliebig der jeweiligen Hand bzw. bereits vorhandenen Spielgewohnheiten angepasst werden.

Ein weiterer Aspekt bei der Zusammenstellung der Drills ist auch hier wieder, dass trotz großer Ähnlichkeit im Verlauf der Melodielinien die spieltechnischen Unterschiede immerhin so deutlich sind, dass jede der Übungen ihre eigene Berechtigung hat. Mit anderen Worten: Je lückenloser alle möglichen spieltechnischen Nuancen berücksichtigt werden, desto größer ist im Ergebnis die improvisatorische Freiheit - also die Unabhängigkeit von „draufgedrückten“ Licks.

Ganz in diesem Sinne zeigen die Notenbeispiele 2 und 3 zwei relativ ähnliche Tonfolgen, die dennoch in spieltechnischer Hinsicht recht verschieden sind. Aus Platzgründen wird es in den nächsten Folgen kaum möglich sein, derart „flächendeckend“ alle denkbaren Tonfolgen darzustellen. Stattdessen möchte ich dann u.a. weitere Möglichkeiten zeigen, die es für das Üben durch alle Tonarten über stupide chromatische Rückungen oder die Umkreisung des Quintenzirkels hinaus gibt.    

 

© 1996 by Wolfgang Fiedler