INTERVALLE (1)

Im ersten Teil zum Thema Intervalle geht es um deren Typen (reine, große und kleine Intervalle) und ihre konkreten Bezeichnungen (z. B. Prime, Quarte, None etc.). Dazu gibt es auch wieder eine Abbildung. Dabei kommen Begriffe wie Alteration, Enharmonik, Konsonanz und Dissonanz ins Spiel.

Die Strukturen von Tonleitern, Akkorden oder Voicings oder auch funktionsharmonische Beziehungen sind ohne Kenntins der Intervalle kaum zu verstehen. Gleichzeitig bildet die Fähigkeit, Intervalle beim Hören zu identifizieren oder mit dem “inneren Ohr” gehörte Intervalle gezielt zu spielen, die wichtigste Grundlage für das Improvisieren und Komponieren. Im nächsten Beitrag, der ohnehin mehr von einigen praxisrelevanten Beziehungen der Intervalle untereinander handeln wird, werden Sie deshalb auch eine Kurzanleitung für Gehörtraining im Selbststudium finden. Doch zunächst zu den theoretischen Grundlagen.
Namen & Nummern
Dank des wohltemperierten Tonsystems und der damit verbundenen CHROMATISCHEN TONLEITER lassen sich alle Intervalle als eine bestimmte Anzahl gleich großer Halbtonschritte definieren. Die Namen der Intervalle orientieren sich dagegen am diatonischen Tonsystem, also an Skalen mit 7 Tonstufen innerhalb einer Oktave. Bezogen auf diese Tonstufen lauten die Bezeichnungen SEKUNDE (zweite Stufe), TERZ (dritte Stufe) oder SEPTIME (siebente Stufe). Durch die von Fall zu Fall unterschiedliche Folge von Halb- und Ganztonschritten in diatonischen Skalen variiert auch die genaue Größe der Tonstufen, wodurch teilweise die Attribute “klein” oder “groß” notwendig werden (z. B. kleine bzw. große Terz in der Moll- bzw. Dur-Skala).
Eine recht abstrakte Form der Systematisierung der Intervalle wäre eine Liste, in der die Bezeichnung des Intervalls seiner nächstgelegenen enharmonischen Verwechslung und der Anzahl der Halbtonschritte gegenübergestellt wird, die diese Intervalle umfassen:

Intervall -> enharmonische Verwechslungen -> Halbtonschritte

  • reine Prime -> verminderte Sekunde -> 0
  • kleine Sekunde -> übermäßige Prime -> 1
  • große Sekunde -> verminderte Terz -> 2
  • kleine Terz -> übermäßige Sekunde -> 3
  • große Terz -> verminderte Quarte -> 4
  • reine Quarte -> übermäßige Terz -> 5
  • Tritonus -> übermäßige Quarte, verminderte Quinte -> 6
  • reine Quinte -> verminderte Sexte -> 7
  • kleine Sexte -> übermäßige Quinte -> 8
  • große Sexte -> verminderte kleine Septime -> 9
  • kleine Septime -> übermäßige große Sexte -> 10
  • große Septime -> verminderte Oktave -> 11
  • reine Oktave -> übermäßige Septime, verminderte None -> 12
  • kleine None -> übermäßige Oktave -> 13
  • große None -> verminderte Dezime -> 14
  • kleine Dezime -> übermäßige None -> 15
  • große Dezime -> verminderte Undezime -> 16
  • reine Undezime -> übermäßige Dezime -> 17
  • Tritonus + Oktave -> übermäßige Undezime, verminderte Duodezime -> 18
  • reine Duodezime -> verminderte Tredezime -> 19
  • kleine Tredezime -> übermäßige Duodezime -> 20
  • usw.


Eine andere Möglichkeit der Systematisierung sehen Sie in der Abbildung, in der die Intervalle nach ihren “Stammnamen” geordnet sind. Neben den gängigen Alterationen (hier nur bei den reinen Intervallen) sehen Sie die Zahl bzw. Bezeichnung (z. B. “maj7” oder “add2”), mit der ein dem Intervall entsprechender Ton in einem Akkordsymbol bezeichnet sein kann.
Die gleichzeitige Darstellung im Noten- oder Tastenbild zwingt dazu, sich auf einen Bezugston festzulegen (hier das C). Für ein Gehörtraining ist der Zusammenhang zwischen Klang und Visualisierung der Intervalle in Noten und auf der Tastatur oder dem Griffbrett des Instruments sehr wichtig. Dazu kann man allerdings diese Abbildung hier lediglich als Basis-Schema benutzen, von dem man die Vielzahl anderer möglicher Bezugspunkte ableiten muss. Im nächsten Beitrag werden Sie noch weitere Schemata vorfinden, die dann beispielsweise auch einen Überblick über die Komplementärintervalle geben. 



Intervalle über dem Ton C

Intervalltypen

Dass von “reinen” bzw. “kleinen” und “großen” Intervallen die Rede ist, liegt in erster Linie am oben bereits angedeuteten diatonischen Background unserer musikalischen Begriffswelt. Oktave, Quinte und Quarte werden aus zweierlei Gründen als “reine” Intervalle bezeichnet: Erstens sorgt ihr (annäherndes) Schwingungsverhältnis für einen hohen “Konsonanzgrad” (siehe KONSONANZ UND DISSONANZ), und zweitens sind diese Intervalle in den wichtigsten diatonischen Skalen immer “rein” – es müssen also nicht kleine oder große Varianten unterschieden werden. Dem stehen die kleinen und großen Intervalle gegenüber, die gleichzeitig infolge ihres anderen Konsonanzgrades einen weniger reinen Klangcharakter haben.

Alterationen

Besonders im Zusammenhang mit den reinen Intervallen tauchen die Begriffe “vermindert” und “übermäßig” auf, die eine Alteration (Abwandlung in Form einer Verkleinerung bzw. Vergrößerung dieser Intervalle) um einen Halbtonschritt bezeichnen. Hier wird gerne übersehen, dass die Bezeichnungen “vermindert” und “übermäßig” nicht mit den Attributen “klein” und “groß” auf eine Stufe zu stellen sind. Denn auch kleine und große Intervalle können alteriert werden, also als verminderte bzw. übermäßige erscheinen. Theoretisch müsste man dabei noch das Attribut “klein” oder “groß” hinzufügen. Aber beispielsweise eine verminderte große Terz wäre gleichbedeutend mit einer kleinen Terz, was eine Alteration in dieser Richtung überflüssig macht. Daher tauchen nur große Intervalle ggf. als übermäßige auf, wenn sie noch um einen Halbton vergrößert werden, und nur kleine als verminderte, wenn diese um einen Halbton verkleinert werden. 
Man könnte nun die reinen sowie die großen und kleinen Intervalle als “Basis-Intervalle” betrachten, die nur im Falle ihrer Alteration mit den Attributen “vermindert” oder “übermäßig” versehen werden müssen. Um das auch auf die Quinten und Quarten ausweiten zu können, müsste man allerdings den “Tritonus” ebenfalls als Basis-Intevall betrachten und ihn auch so nennen. Der Tritonus wäre nämlich ansonsten das einzige Intervall, das sich nur durch die Alteration einer Quarte (übermäßig) oder einer Quinte (vermindert) bezeichnen ließe.

Enharmonik

Abgesehen von diesem Fall führt eine Alteration immer zu einem Intervall, das vom Tonabstand her einem anderen (nicht alterierten) Basis-Intervall entspricht. Beispiele: Die übermäßige Sexte entspricht der kleinen Septime, die verminderte Oktave entspricht der großen Septime.
Voraussetzung dafür, dass hier von Entsprechung die Rede sein kann, ist natürlich die wohltemperierte Stimmung. Nur dadurch werden die Frequenzunterschiede abgeschafft, die in einem diatonischen (nicht wohltemperierten) Tonsystem zwischen Tönen mit unterschiedlichem “harmonischen” Ursprung bestehen. Der Ton Cis als große Terz über A (A-Dur) wäre sonst nämlich auch von der Frequenz her ein anderer als der Ton Des als Quinte über Ges oder als kleine Terz über Bb, auch wenn beide Töne sehr nahe beieinander liegen würden.
Im wohltemperierten Tonsystem sind nun Töne wie Cis und Des praktisch identisch. Wenn man zwischen diesen Tonnamen wechselt oder wenn man die Alteration eines Intervalls in das gleichbedeutende, benachbarte Basis-Intervall umdeutet (also beispielsweise verminderte Quarte = große Terz), nennt man das enharmonische Verwechslung.
Auch wenn sich eine enharmonische Verwechslung äußerlich nur in einer Bezeichnung oder in der Notation (Vorzeichen/Note) manifestiert, findet im musiktheoretischen Sinne auch dann eine enharmonische Verwechslung statt, wenn nur der harmonische Bezug eines Tons ein anderer wird. Das trifft beispielsweise zu, wenn der Ton E als große Terz in C-Dur mit dem Ton E als kleine Terz in Cis-Moll gleichgesetzt wird. Nur wird man in so einem Falle kaum darauf aufmerksam, sofern man sich nicht bewusst mit dem funktionsharmonischen Bezug befasst.
Enharmonische Verwechslungen im wohltemperierten System haben klanglich keinen Einfluss auf die Musik. Das heißt aber nicht, dass man stets hemmungslos enharmonisch verwechseln sollte. Selbst wenn es zunächst nur von theoretischer Bedeutung ist, dient es dem besseren Verstehen musikalischer Zusammenhänge, sich den funktionalen Ursprung von Tönen bewusst zu machen und genau zu unterscheiden, ob ein Ton z. B. eher als Fes statt als E zu bezeichnen wäre.
Gleichzeitig wird man in bestimmten Zusammenhängen gar nicht umhin kommen, enharmonisch zu verwechseln. Beispielsweise geht man in der Praxis davon aus, dass 4 kleine Terzen übereinander eine Oktave ergeben. Ohne enharmonische Verwechslung wäre das aber falsch, denn eigentlich ergibt sich keine Oktave, sondern eine verminderte None – es sei denn, man bezeichnet eine der kleinen Terzen als übermäßige Sekunde. Aber dazu mehr im nächsten Beitrag.

Konsonanz und Dissonanz

Ein Grund für die Unterscheidung der reinen Intervalle von den großen und kleinen ist die Klangcharakteristik. Anstelle von Attributen wie “rein” könnte man auch von einem hohen “Konsonanzgrad” reden. Je nach Intervall kann man diesen Konsonanzgrad differenziert abstufen. Als Orientierung dafür könnten die Schwingungsverhältnisse dienen, die bei den “Vorbildern” der wohltemperierten Intervalle in der Partialtonreihe gelten. Je höher die Zahlen innerhalb dieser Frequenzverhältnisse werden, desto weniger homogen scheinen sich die beide Frequenzen eines Intervalls miteinander zu einem Klang zu addieren. Letzteres ist es nämlich, was wir als “Konsonanz”, als Reinheit im Zusammenklang empfinden.
Entsprechend diesen Frequenzverhältnissen würde eine Ordnung der Intervalle innerhalb einer Oktave nach ihrem Konsonanzgrad etwa so aussehen:

Intervall -> Schwingungsverhältnis

  • Oktave -> 2 : 1
  • Quinte -> 3 : 2
  • Quarte -> 4 : 3
  • große Sexte -> 5 : 3
  • große Terz -> 5 : 4
  • kleine Terz -> 6 : 5
  • kleine Sexte -> 8 : 5
  • kleine Septime -> 9 : 5
  • große Sekunde -> 9 : 8
  • große Septime -> 15 : 8
  • kleine Sekunde -> 16 : 15
  • Tritonus (wohltemperiert) -> 4073 : 2880
  • kleiner Tritonus -> 45 : 32
  • großer Tritonus  -> 64 : 45

Im Falle des wohltemperierten Systems stimmen diese Werte natürlich nicht mehr exakt. Extrem deutlich wird das am Tritonus, der sich an der nicht genau zu ziehenden Grenze zwischen konsonanten und dissonanten Intervallen bewegt. In der Partialtonreihe hat der wohltemperierte Tritonus (als 3 Ganztonschritte bzw. 6 Halbtonschritte definiert) kein eindeutiges Referenzintervall, da er einen Viertelton zwischen dem “kleinen” Tritonus der Partialtonreihe und dem “großen” Tritonus (Komplementärintervall zum kleinen Tritonus) liegt.

GLOSSAR

chromatisch – bezeichnet ein Tonsystem aus 12 genau gleichen Halbtonschritten innerhalb einer Oktave.

diatonisch – bezeichnet ein Tonsystem, in welchem die Tonleitern aus zweierlei Tonschritten (Halb- und Ganztonschritten) bestehen. Diatonische Skalen bestehen aus 7 verschiedenen Tönen innerhalb einer Oktave.

Komplementärintervalle – Intervalle, die sich gegenseitig zu einer Oktave ergänzen (mehr dazu im nächsten Beitrag).

Voicings – mehrstimmige Klänge (Akkorde), deren Töne (Stimmen) genau festgelegt sind – im Unterschied zum abstrakten Akkordsymbol.

BUCHTIPPS

[1] – DIE NEUE HARMONIELEHRE (Band 1, 2 und Praxisheft), Frank Haunschild, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-00-4 (Band 1), ISBN 3-927190-08-X (Band 2), ISBN 3-927190-57-8 (Praxisheft).

[2] – SONGWRITER’s GUIDE, Wolfgang Fiedler, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-75-6

[3] – DIE KOSMISCHE OKTAVE, Hans Cousto, Synthesis Verlag Siegmar Gerken, ISBN 3-922026-24-9

 

© 2001 Wolfgang Fiedler