PENTATONIK (1)

Im Zuge der modalen Systeme geht es in diesem Beitrag um die Intervallstruktur der Pentatonik (Abb. 1 und Abb. 2), um die verschiedenen Modi pentatonischer Skalen (Abb. 3) und und um die Beziehung zwischen drei pentatonischen Mustern und einer diatonischen (Dur/Moll-)Tonleiter, gleichbedeutend mit einer Tonart im 'klassischen' Sinne (Abb. 4).

Als improvisierender oder komponierender Musiker greift man ständig auf Tonfolgen und Mehrklänge zu, die zu einem Großteil eine pentatonische Intervallstruktur haben. Es liegt also nahe, die Pentatonik als Ausgangspunkt einer Systematisierung von Tonmaterial zu nehmen und deren Beziehung zu diatonischen Skalen, Tonarten, harmonischen Funktionen etc. darzustellen, um damit eine möglichst enge Verbindung zur Spielpraxis zu haben.

In diesem und folgenden Beiträgen unter der Überschrift PENTATONIK soll dies schrittweise geschehen, in diesem Beitrag zunächst beginnend mit der “reinen” Pentatonik. In den nächsten Folgen wird die stilistische Bandbreite durch Hinzufügen Blues-spezifischer Töne erweitert, um das Ganze abschließend in eine umfassende Übersicht zu bringen.
Die Tonfolgen, die dabei verarbeitet werden, haben Sie vermutlich schon oft gespielt. Diese sind aber auch nicht die eigentliche Botschaft, sondern vor allem die Sicht auf bisher möglicherweise nicht beachtete Möglichkeiten für deren Verwendung.

Pentatonik – die Intervallstruktur

Allgemein besagt der Begriff Pentatonik, dass wir es mit 5 Tönen innerhalb einer Oktave zutun haben. Prinzipiell gibt es verschieden strukturierte pentatonische Skalen, die dann aber entsprechend spezifiziert sind (z. B. “Indische” oder “Japanische” Pentatonik).
Wenn wir diese hier mal außen vor lassen, verstehen wir unter Pentatonik genau das Tonmaterial, das in Abb. 1 und Abb. 2 in zwei Varianten dargestellt ist. Die untere Variante in Abb. 2 mit den schwarzen Tasten soll vor allem daran erinnern, dass Sie bei Bedarf durch die Workshopreihe ABSOLUTE BEGINNERS – Improvisation für Einsteiger von Matthias Keul (erster Beitrag: 04/00) eine weitere Möglichkeit haben, das hier vermittelte theoretische Wissen aus praktischer Sicht zu vertiefen.


Abb. 1


Abb. 2

Die Wesentliche in Abb. 2 ist die Intervallfolge, bestehend aus Ganztonschritten (“GT”) und kleinen Terzen (“kl. Terz”). Halbtonschritte, wie sie in diatonischen Skalen vorkommen, finden wir in der “reinen” Pentatonik nicht. In Abb. 1 wird dieser Zusammenhang noch aus einer anderen Perspektive deutlich: Bildet man über einem Ton eine Folge von vier Quinten, entstehen dabei genau die Töne der Pentatonik, nur in anderen Oktavlagen. Dass die Pentatonik also aus Intervallen mit relativ hohem Konsonanzgrad gebildet wird, kann als Ursache für den klaren und offenen Sound dieses Tonmaterials angesehen werden.
Die Pentatonik in dieser Gestalt findet man als weit verbreitetes, tonales Grundmuster in der traditionellen und gegenwärtigen Musik auf der ganzen Welt vor – in der Südsee ebenso, wie in den Gesängen der nordamerikanischen Indianer oder in der Folk Music der britischen Inseln. Gerade letztere ist eine wesentliche Quelle der Populärmusik, die sich in Nordamerika in den verschiedensten “Farbtönen” aus einer Vermischung von westeuropäischer mit afrikanischer Musiktradition entwickelt hat, von der Country Music bis zum Blues, Soul oder HipHop. Die Struktur der Pentatonik und das Prinzip ihrer möglichen Erweiterungen ist dann in jedem Falle sehr ähnlich, auch wenn der Sound der jeweiligen Musik recht verschieden sein kann. Abgesehen von der Rhythmik ist die hauptsächliche Ursache hierfür, dass jeweils unterschiedliche Modi der Pentatonik dominieren. Im Ragtime und in anderen frühen Jazzstilen sowie in der Country Music überwiegen Dur-Pentatonik-Licks, während im Blues, Rock und Soul vorwiegend Moll-Pentatonik erklingt. Im Jazz der 60er Jahren wurden verstärkt auch andere Modi der Pentatonik ausgespielt, was nicht zuletzt zur Bezeichnung MODALER JAZZ geführt hat.

Die Modi der Pentatonik

In Abb. 2 wird den 5 Tönen erst mal kein Grundton zuordnet. In der klassischen Harmonielehre wiederum ist man bei der Pentatonik nur vom Dur-Mode (Mode 1 – Abb. 1) ausgegangen. Eine heute praktizierte Form, die Pentatonik in verschiedenen Modi zu betrachten, lehnt sich an das Prinzip beim Ionischen System an (KB 10/00). Dabei wird die Dur-Pentatonik mit der Dur-Tonleiter (Ionische Skala) als Ausgangspunkt genommen (Mode 1).


Abb. 3 – Die Modi der Pentatonik

Die 5 Modi der Pentatonik nach diesem Muster, diesmal aus der Perspektive eines gleichbleibenden Grundtons (C), sehen Sie in Abb. 3. Es ist nicht nötig, sich die Bezifferung dieser Modi einzuprägen, da es andere, für die Praxis letztendlich übersichtlichere Möglichkeiten der Zuordnung zum musikalischen Drumherum gibt – dazu später mehr. Einen Klangeindruck von den Modi können Sie sich durch Abspielen des MIDI-Files MODAL_01.MID verschaffen. Dabei wird alle 2 Takte der Mode gewechselt, aus Gründen der Musikalität allerdings in umgekehrter Reihenfolge als in Abb. 3 (Mode 1 – 5 – 4 – 3 – 2 – 1 – 5 – 4 – 3 – usw.).

Pentatonik und das Ionische System

Noch gebräuchlicher als die 5 Modi ist die Unterscheidung in Dur- und Moll-Pentatonik (Mode 1 und Mode 5). Dabei vernachlässigt man zwar die anderen Modi, von denen z. B. der Mode 2 relativ häufig Anwendung finden dürfte. Aber wie oben schon angedeutet, kann man darauf auch verzichten und statt dessen mehrere pentatonische Skalen in der nachfolgend beschriebenen Weise betrachten, diese ins Verhältnis zum diatonischen Tonmaterial bzw. damit zur jeweiligen Tonart setzen, wobei sich die verschiedenen Modi auf anderem Wege ergeben.
Die Beschränkung auf Dur- und Moll-Pentatonik oder gar auf nur eine einzige Bezeichnung (beispielsweise “C-Pent.”, was dann für “C-Dur-/A-Moll-Pentatonik” steht) ist dann deswegen sinnvoll, weil man sich nicht an den Modi einer einzelnen Pentatonik orientiert, sondern an einer Auswahl mehrerer (mindestens dreier) verschiedener pentatonischer Skalen. Die aus der Spielpraxis heraus entwickelten pentatonischen Licks werden oft zunächst aus der Perspektive der Moll-Pentatonik gesehen, während die Beziehung zu Tonarten dagegen eher anhand der Dur-Pentatonik erkennbar wird. Ein wechselseitiges “Übersetzen” nur dieser beidem Modi ist schon Aufwand genug, dürfte aber durch die Allgegenwart der Dur/Moll-Parallelität noch am wenigsten Probleme bereiten.


Abb. 4 – Diatonik und deren pentatonische Komponenten

In Abb. 4 sehen Sie nun drei pentatonische Skalen, die in ihrer Summe alle Töne einer 7-Tonleiter des Ionischen Systems enthalten. In diesem Beispiel, das ganz bewusst mal vom ewigen C-Dur abweicht, ergibt sich die Ionische Skala auf dem Grundton Es (bzw. die aeolische Skala auf C = C-Moll) aus der Es-Dur/C-Moll-Pentatonik, der As-Dur/F-Moll-Pentatonik und der Bb-Dur/G-Moll-Pentatonik. Diese drei pentatonischen Skalen repräsentieren (im Modus der Dur-Pentatonik) die Komponenten der einfachen, “klassischen” Kadenz (siehe dazu auch im Kasten KADENZEN...). Betrachtet man das diatonische Tonmaterial als die Liste von Tönen, die sich durch das Mit-, Neben- oder Nacheinander pentatonischer Fragmente aus diesen Komponenten ergeben, trifft das recht genau ebenso auf das Zustandekommen der diatonischen Tonleitern zu, wie man auch umgekehrt daraus wieder Prinzipien für die Gestaltung von Musik aus ihren ursprünglichen Bausteinen ableiten kann.
Je nach Vorliebe in der Betrachtungsweise kann man nun in der Improvisation über C-Moll, Es-Dur oder sonst einem Mode dieser diatonischen Skala Tonfolgen verwenden, die aus Kombinationen der drei pentatonischen Skalen bestehen. Versuchen Sie es mal mit F-Moll als Bezugstonart, das in diesem Falle genauer als “F dorisch” bezeichnet werden müsste. Wenn Sie dazu in erster Linie Tonfolgen aus der C-Moll/Es-Dur-Pentatonik spielen und die F-Moll-/As-Dur- und G-Moll-/Bb-Dur-Pentatonik zeitweilig einbeziehen, entspricht das einem Umgang mit dem Tonmaterial, wie es für z. B. den “Modalen Jazz” charakteristisch ist. Auch hierzu ein Klangbeispiel-MIDI-File: MODAL_02.MID.
Falls Ihnen die Tonart nicht liegt, transponieren Sie das Ganze einfach wieder auf die weißen Tasten: Gespielt wird dann über D-Moll (D dorisch), und zwar vorwiegend unter Verwendung der A-Moll-Pentatonik. Den nächsten Schritt, die Einbeziehung von Blues-spezifischen Tönen, um die wir uns im nächsten Beitrag verstärkt kümmern wollen, werden Sie dabei vermutlich schon ganz automatisch gehen.

Kadenzen...

... und alles was damit zusammenhängt, gehört eigentlich zum Thema HARMONIK/FUNKTIONSHARMONIK, das an anderer Stelle noch sehr ausführlich behandelt wird. Aber mindestens bei der Betrachtung der Ursprünge der diatonischen Tonalität kommt man an einem Zusammenhang zwischen den melodischen Grundbausteinen und den harmonisch-funktionalen Abläufen nicht vorbei.
Eine Erscheinung, die vom Prinzip her in sehr unterschiedlichen Musikkulturen anzutreffen ist, ist der Wechsel der Grund- oder Bezugstöne zur Melodik. Dadurch variiert die Spannung der Melodik zum tonalen Zentrum (zur Zentraltonart), wodurch funktionale und formale Abläufe entstehen. Besonders typisch dafür ist der Wechsel zur Quinte als Grundton, von der aus wieder zum Grundton zurückgekehrt wird. Aber auch die Quarte wird gern als Zwischenstufe verwendet.

In der europäischen Musik kennen wir solche Vorgänge unter dem Begriff KADENZ. In der “klassischen Kadenz” wird dabei zunächst zur Quarte (Subdominante) gewechselt, dann zur Quinte (Dominante) und wieder zurück zum Grundton (Tonika). Es gibt so gut wie kein klassisches Stück oder auch Volklied, in dem nicht diese Wendung vorkommt.
Ordnen wir jeder dieser Funktionen eine Dur-Pentatonik zu, dann ergibt genau so eine Zusammenstellung wie in Abb. 4. In diesem Beispiel entspricht die Es-Dur/C-Moll-Pentatonik der Tonika, die As-Dur/F-Moll-Pentatonik der Subdominante und die Bb-Dur/G-Moll-Pentatonik der Dominante. Bezogen auf C-Dur wären das die C-Dur/A-Moll-, die F-Dur/D-Moll- und die G-Dur/E-Moll-Pentatonik.
Wenn man also die Verbindung von Tönen mit sehr einfachen Intervallverhältnissen (Abb. 1) und die daraus abgeleitete Pentatonik als die Grundsubstanz der Tonalität betrachtet, dann ergibt sich durch die Verbindung der elementaren harmonischen Funktionen, also dreier pentatonischer Skalen, insgesamt das diatonische Tonmaterial, das wir in der traditionellen Harmonielehre mit einer Tonart identifizieren. In diesen elementaren Zusammenhang ordnen sich nahezu alle Erscheinungen ein, mit der wir es mindestens in der populären Musik zutun haben.

BUCHTIPPS

[1] – DIE NEUE HARMONIELEHRE (Band 1, 2 und Praxisheft), Frank Haunschild, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-00-4 (Band 1), ISBN 3-927190-08-X (Band 2), ISBN 3-927190-57-8 (Praxisheft).

[2] – SONGWRITER’s GUIDE (mit Audio-CD), Wolfgang Fiedler, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-75-6.

© 2005 by Wolfgang Fiedler