PENTATONIK (3)
Die Zusammenhänge, die in den anderen Beiträgen zur Pentatonik aufgezeigt wurden, werden hier aus zwei verschiedenen Ansätzen heraus in eine Übersicht gebracht:
Ansatz 1: Ausgangspunkt ist ein tonales Zentrum (Grundton A), von dem aus alle (erweiterten) pentatonischen Skalen gezeigt werden, die zu A-Dur, A-Moll, A-Blues und/oder einer Mischung daraus in einem konsonanten Verhältnis stehen (Abbildung).
Ansatz 2: Eine erweiterte Pentatonik (in dem Falle A-Dur/Fis-Moll-Pentatonik) dient als Ausgangspunkt, wobei untersucht wird, in welchen harmonischen Funktionen (in Form von Akkordsymbolen) diese als Tonmaterial zur Anwendung kommen kann.
Übersicht
Komplexe Zusammenhänge erschließen sich erfahrungsgemäß besser durch ein mehrfaches Betrachten von verschiedenen Seiten. Aus diesem Grund möchte ich das in den beiden vorangegangenen Folgen angerissene Beziehungsgeflecht zwischen diatonischen Skalen, Tonarten und pentatonischen Tonfolgen noch einmal in etwas anderer Weise ordnen.
Das Ganze soll hier aus zwei verschieden Ansätzen heraus gezeigt werden. Zunächst gehen wir von einem tonalen Zentrum aus (verkörpert durch einen Grundton), von dem aus untersucht werden soll, welche Tonmaterialien (Skalen) dazu in Betracht kommen. Dabei spannt sich der Bogen über Dur und Moll und umfasst damit auch die für den Blues relevanten Modi der Pentatonik.
Der zweite Ansatz besteht darin, eine einzige pentatonische Skala zu nehmen und nachzusehen, in welchen harmonischen Funktionen, dargestellt durch Akkordsymbole, dieses Tonmaterial erklingen kann. Beide Ansätze verkörpern auch die zwei wesentlichsten Perspektiven, aus denen heraus man in der Praxis seine Kenntnisse von diesen Zusammenhängen abrufen muss.
Die MIDI-Files
Die Klangbeispiele liegen wieder als MIDI-Files vor, damit Sie nicht nur den akustischen Eindruck haben, sondern auch die musikalischen Details in Editoren betrachten und beliebig verändern können. Die Dateinamen sind im nachfolgenden Text verlinkt. Die Stilistik und Form der Klangbeispiele ist nicht nur als zweitrangig zu betrachten, sondern es entspricht sogar dem Anliegen, wenn Sie den für Sie interessanten, inhaltlichen Extrakt daraus auf ganz eigene Vorstellungen von Musik anwenden - besonders beim BSP_09_1.MID mit seinen “Improvisations-Bausteinen”.
Ansatz 1 – Zentraltonart
Diesmal soll als tonales Zentrum mal der Grundton A herhalten, ohne von vorn herein eine Festlegung zu treffen, ob sich die darüber aufgebaute Tonalität im Tongeschlecht A-Dur oder A-Moll bewegt, oder ob es sich statt dessen um die Bluestonalität in A handelt, nachfolgend als “A-Blues” bezeichnet. Einzige Bedingung ist, dass A im funktionsharmonischen Sinne Grundton der Tonika in Dur, Moll oder im A-Blues ist. (Das ist wichtig, damit hier nicht fälschlicherweise der Verdacht aufkommt, es ginge um die Modi aller Skalen, in denen der Ton A vorkommt.)
In der Abbildung oben sehen Sie die Zusammenfassung der erweiterten pentatonischen Skalen, die unter o. g. Bedingungen zu diesem Komplex gehören. Im MIDI-File BSP_09_1.MID werden alle Akkorde bzw. die in der Abbildung dargestellten Skalen über dem Grundton A gespielt, dort jedoch in ungeordneter, dafür aber musikalisch sinnvoller Reihenfolge. Die pentatonischen Muster erklingen auf MIDI-Kanal 4 von einem Piano. Das Klangbeispiel ist in einen Teil A und einen Teil B gegliedert. In der Wiederholung des Teil A, am Ende des Beispiels, sind diese in insgesamt 12 verschiedenen halbtaktige Licks aneinander gereiht, also alle 6 pentatonischen Skalen aus der Abbildung je einmal aufwärts und einmal abwärts. Damit lassen sich diese nach einem Baukasten-Prinzip verschieden verketten und als Experimentierfeld für Pentatonik/Akkord-Klangbilder verwenden. Die Benennung der Sequenzen deutet auf die Skala hin: “C up” bedeutet beispielsweise C-Dur/A-Moll-Pentatonik aufwärts, “A dwn” bedeutet A-Dur/Fis-Moll-Pentatonik abwärts. In jedem Lick ist mindestens einmal die Blue Note enthalten. Es versteht sich natürlich, dass daraus zusammengebaute Soli recht konstruiert und keinesfalls so musikalisch rüber kommen können, wie eine spontan gespielte Improvisation.
Dieses Musikbeispiel enthält also eine Mischung aus Dur, Moll und der Blues-Tonalität über A, wie es in einer auch nur annähernd vom Blues beeinflussten Musik an der Tagesordnung ist. Dur-, Moll- oder Bluestonalität in einer Entweder/Oder-Reinkultur ist eher die Seltenheit, soll aber im Interesse theoretischer Klarheit nachfolgend mal getrennt betrachtet werden.
A-Dur
In der Abbildung ist der dazugehörige Bereich durch die rote Klammer gekennzeichnet. In einem Musikstück in einer Tonart wie A-Dur, mit harmonische Funktionen innerhalb der einfachen Kadenz, ggf. noch deren Moll-Parallelen, werden folgenden Akkorde auftauchen. Deren Grundton ist dann mit dem rechts dahinter stehenden Mode im Ionischen System in A in Verbindung zu bringen:
A-Dur (Tonika): Ionisch
Fis-Moll (Moll-Parallele der Tonika): Aeolisch
D-Dur (Subdominante): Lydisch
B(H)-Moll (Moll-Parallele der Subdominante): Dorisch
E-Dur (Dominante): Mixolydisch
Cis-Moll (Moll-Parallele der Dominante): Phrygisch.
Zu jeder dieser Funktion korrespondiert eine pentatonische Skala, gleichnamig mit der Akkordbezeichnung:
A-Dur/Fis-Moll-Pentatonik (Tonika und Parallele)
D-Dur/B-Moll-Pentatonik (Subdominante und Parallele)
E-Dur/Cis-Moll-Pentatonik (Dominante und Parallele).
Bemerkenswert ist: In ihrer Summe bilden diese 3 Skalen das Tonmaterial der kompletten A-Dur-Tonleiter. Der Tonart A-Dur wird also durch alle hier genannten Skalen und Akkorde verkörpert, vorausgesetzt letztere sind in der oben gezeigten harmonischen Funktion eingesetzt.
... mit Blue Notes
Wie im vorigen Beitrag schon erläutert, ist die Einbeziehung der Blue Note (zusätzliche kleine Terz in der Dur-Pentatonik) eine Frage des Musikstils, des Sounds. Beziehen wir die Blue Notes in das A-Dur-System mit ein, tendiert damit der Charakter in Richtung Blues. Trotzdem haben wir es dadurch noch nicht mit der weiter unten beschriebenen Variante “A-Blues” zutun.
Mit dem MIDI-File BSP_09_2.MID können Sie nachvollziehen, dass die Verbindung von “reinem” A-Dur-(und /Fis-Moll)-System und Blue Notes eher an Gospel-Musik erinnert. Das ist auch kein Wunder, denn Gospelsongs schöpfen in ihrer musikalischen Substanz mehr aus europäisch geprägten Folk Songs mit der klassischen Dur/Moll-Tonalität, stehen aber gleichzeitig unter dem Einfluss der afroamerikanischen (Blues-)Melodik-Auffassung.
A-Moll
Im Prinzip könnte man die Aufstellung der Akkorde, Funktionen, Skalen oder Modi von A-Dur einfach nach C-Dur transponieren, um von da aus A-Moll als die Moll-Parallele von C-Dur zu betrachten. Dazu muss man aber wenigstens 2 Dinge beachten:
In einer Moll-Kadenz kommt nicht selten in der Dominante ein Dur-Akkord zur Anwendung (in unserem Falle wäre das E-Dur). Hier besteht auch eine enge Wechselwirkung mit den Molltonleitern “Melodisch” und “Harmonisch Moll”, in denen die große Septime (in A-Moll das Gis) anstelle der kleinen Septime erklingt (die große Dur-Terz in der Dominante). Das “reine” A-Moll, also die Skala A aeolisch und die Moll-Dominante E-Moll, ist also nicht ohne weiteres auf das Dur/Moll-System der Musik des 18./19. Jahrhunderts anwendbar.
Wenn wir eine Moll-Tonalität in der Populärmusik vorfinden, dann handelt es sich oft um den Dorischen Mode, also ein Tonmaterial mit der großen Sexte über dem Grundton. In diesem Falle müssen wir die (Moll-)Tonart so verstehen, als wäre sie die Moll-Parallele der Subdominante. Wollten wir unser System in der Abbildung auf so einen Fall konkret anwenden, müsste die Tonart also B(H)-Moll innerhalb des Dur-Systems bzw. D-Moll innerhalb des Moll-Systems lauten. Anders herum betrachtet, also wenn der Ausgangspunkt die Vorgabe A-Moll (dorisch) hieße, müsste das ganze Moll-System transponiert werden, so dass es sich auf die Moll-Tonika E-Moll bezieht (oder auf G-Dur, die Dur-Parallele von E-Moll).
A-Blues
Im traditionellen Sinne ist das keine Tonart, aber angesichts afroamerikanischer Musikpraxis wäre es eigentlich sinnvoll, diese in den Sprachgebrauch aufzunehmen. Im Gegensatz zu A-Dur haben wir hier auf dem Grundton (A) die kleine statt der großen Septime (G statt Gis) und sowohl die kleine, als auch die große Terz (gleichberechtigt). Verglichen mit dem Ionischen System kann dieser Zustand weder als Mixolydisch noch als Dorisch bezeichnet werden, auch wenn diese beiden Modi dazu “kompatibel” sind. (Spezielle Moll-Blues-Varianten sind hiervon natürlich ausgenommen). Bezeichnungen wie Mixolydisch oder Dorisch könnten auch zu dem Missverständnis führen, dass wir es mit Dominant- oder Moll-Subdominant-Funktionen zutun hätten. Aber in einem A-Blues ist nun mal A7 die Tonika(!).
Im Beitrag 12/00 finden Sie zum Thema Bluestonalität die Begründungen, die eine “Aufschlüsselung” dieses Tonmaterials in der Weise nahe legen, wie es aus der Abbildung hervorgeht. Beachten Sie dabei auch wieder, dass die A-Dur/Fis-Moll-Pentatonik nur bedingt verwendet werden kann: nämlich nicht in der Blues-Subdominante, weil in dem Falle die große Terz bzw. reine Quinte dieser Skala (Cis) als große Septime über D mit der kleinen Septime in D7 kollidieren würde.
Ansatz 2 – Pentatonik
Als Ausgangspunkt für diese Betrachtung habe ich die A-Dur/Fis-Moll-Pentatonik gewählt, die man dazu auch wieder um den Ton C (Blue Note) erweitern kann. Im MIDI-File BSP_09_3.MID finden Sie eine geloopte Sequenz aus den Tönen dieser Skala, während der Reihe nach folgende Akkorde dazu gespielt werden:
A, F#m, Dmaj7, Bm7(9/11), Gmaj7/#11, Em7/9/13, C#m(b6), B7(sus4/9/11), E7(sus4).
Bis auf die letzten beiden, die nur je einen Takt lang erklingen, wechseln die Akkorde (von links nach rechts und zeilenweise) im Abstand von 2 Takten.
Verglichen mit den oben unter “A-DUR” gezeigten Akkorden des A-Dur-Systems fallen insbesondere folgenden zusätzlichen Akkorde auf: Gmaj7/#11 und Em7/9/13 (Moll-Parallele). Der Grund: Das Verhältnis dieser Akkorde zur A-Dur-Pentatonik ist das gleiche, wie das Verhältnis des D-Dur- und B-Moll-Akkords (Subdominante und deren Parallele im A-Dur-System) zur E-Dur-Pentatonik – siehe ANSATZ 1. In Akkordsymbolen ausgedrückt würde man hier auch “Dmaj7/#11” bzw. “Bm7/9/13” schreiben. Diese Tonalität ergibt sich bei der Dur-Subdominante aus dem lydischen Mode und bei deren Parallele aus dem Dorischen Mode der Tonika-Durtonleiter. Die große Terz der Tonika bildet dann die “maj7” bzw. die “9”, und die große Septime der Tonika bildet die “#11” bzw. die “13”.
GLOSSAR
diatonisch – charakterisiert das Tonsystem, in dem Tonleitern aus zwei verschiedenen Tonschritten aufgebaut sind: aus Halb- und Ganztonschritten. Innerhalb einer Oktave werden diese zu 7 Tonstufen kombiniert.
Dominante – harmonische Funktion in einer Kadenz mit der 5. Stufe (Quinte) der Tonika-Skala als Grundton.
Kadenz –Standard-Abfolge harmonischer Funktionen, ein Grundbaustein musikalischer Formen.
Ionisches System – auch Kirchentonarten, System aus diatonischen Skalen, die alle aus den gleichen Tönen bestehen, aber von jeweils einer anderen Tonstufe dieser Tonreihe als Grundton ausgehen.
Modus – auch Mode (engl.), bezeichnet den Bezug einer (diatonischen oder pentatonischen) Skala zu einer ihrer Tonstufen als Grundton – siehe auch Kirchentonarten.
Subdominante – harmonische Funktion in einer Kadenz mit 4. Stufe (Quarte) der Tonika-Skala als Grundton.
Tonika – harmonische Funktion in einer Kadenz, deren Grundton der Zentraltonart entspricht.
BUCHTIPPS
[1] – BASICS / Das Piano Buch (mit Audio-CD), Wolfgang Fiedler, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-31-4
[2] – DIE NEUE HARMONIELEHRE (Band 1, 2 und Praxisheft), Frank Haunschild, AMA-Verlag, ISBN 3-927190-00-4 (Band 1), ISBN 3-927190-08-X (Band 2), ISBN 3-927190-57-8 (Praxisheft).
© 2001 by Wolfgang Fiedler