STUFENAKKORDE

Diese Workshopfolge, die den Einstieg in den Themenkomplex Harmonik darstellen sollte, wurde 2001 nicht mehr in der KEYBOARDS veröffentlicht. Die "vertikale" Sicht auf das Tonmaterial stellt in Verbindung mit den bisher behandelten Themen rund um die Meldodik die Basis für eine Art Baukaustensystem dar, mit dem es möglich ist, in nahezu allen Stilisitiken mit einem guten Überblick zu improvisieren.

"vertikales" Tonmaterial

Zunächst etwas Grundlegendes:

Begriffe wie Akkorde, Voicings und Harmonik werden im täglichen Umgang oft durcheinander gebracht. Normalerweise ist das kaum von Bedeutung, aber als Teil musiktheoretischer Allgemeinbildung sollen sie hier einmal genauer umrissen werden.

Akkorde, Akkordsymbole und Voicings

Akkorde und Voicings sind Tonmaterial in „vertikaler“ Anordnung, also gleichzeitig erklingende Töne. Der Unterschied ist: Der Akkord lässt sich durch ein Akkordsymbol ausdrücken, das die abstrakte Beschreibung eines Akkords, genauer: dessen Intervallaufbaus ist. Das Akkordsymbol benennt mindestens einen Grundton und das Tongeschlecht (Dur/Moll), wodurch der Akkord mindestens ein Dreiklang ist. Der Akkord ist eine Art Formel (Intervallaufbau) für die Töne, die gemeinsam erklingen, ohne dabei die Lage, Umkehrung der Intervalle oder das Weglassen von Tönen zwingend vorzuschreiben.

Die Umsetzung des Akkords beim Spielen oder in einem Arrangement kann durch einzelne Töne mehrerer Instrumente oder auch durch mehrstimmige Klänge einzelner Instrumente erfolgen. Letzteres sind die Voicings, die mindestens aus 2 Tönen (Stimmen) bestehen, welche auch eine ganz konkrete Tonlage haben. In der Spiel- und Arrangierpraxis werden Akkorde häufig komplementär aus dem Zusammenklang von Voicings eines Instruments und den Basstönen eines anderen Instruments gebildet.

Funktions(Harmonik)

„Harmonik“ bzw. „Funktionsharmonik“ bezeichnet etwas deutlich anderes. Zwar kennen wir den Begriff „Harmonie“ oder „harmonisch“ auch im Zusammenhang mit Klangspektren oder Mehrklängen. Das verleitet dazu, den Begriff Harmonik eher mit Akkorden zu verbinden, als mit Tonfolgen oder Abläufen. Deswegen ist der Begriff „Funktionsharmonik“ an dieser Stelle genauer. Er bezieht sich nämlich mehr auf die Funktion, die ein Klang im Verlauf der Musik einnimmt, charakterisiert durch sein Spannungsverhältnis zum tonalen Zentrum, zur (Zentral-)Tonart. Funktionsharmonik handelt also eher von musikalischen Formen, als von Akkorden oder Voicings, auch wenn sie häufig durch Akkord- oder Harmoniefolgen dargestellt wird. Funktionsharmonik ist übrigens auch dann wirksam bzw. feststellbar, wenn nur eine Melodie oder polyphone Melodielinien erklingen, also gar keine Akkorde.

Stufen-Drei- und Vierklänge

In dieser einfachen Systematik aus „horizontalem“ und „vertikalem“ Klangmaterial wird auf jedem Ton einer Skala ein Drei- oder Vierklang aufgebaut, bestehend aus 2 bzw. 3 weiteren Tönen der gleichen Skala, in der Regel jeder zweite vom Ausgangston aus gesehen. Die Stufenbezeichnungen, üblicherweise mit römischen Zahlen dargestellt, ergeben sich aus der Nummerierung der Töne der zugrunde liegenden Tonleiter, beginnend mit deren Grundton. In Abb. 1 sehen Sie die Stufenakkorde des Ionischen Systems in C-Dur, hier noch einmal in Verbindung mit den Bezeichnungen der Modi (Kirchentonarten) und mit Akkord- und Funktionssymbolen – siehe dazu auch im Kasten SYMBOLIK FÜR HARMONISCHE FUNKTIONEN. Hier sind nur die Vierklänge dargestellt, da sich die Dreiklänge daraus ganz einfach durch Weglassen des obersten Tons und im Akkordsymbol der in Klammern stehenden Erweiterungen ermitteln lassen.



Abb. 1

Stufenakkorde auf anderen Skalen

Es gibt weit mehr diatonische Skalen als nur die des Ionischen Systems. Nehmen wir allein die Harmonische Molltonleiter. Hier wird die Aeolische Skala des Ionischen Systems nur in einem Ton abgewandelt, indem deren kleine Septime zur großen Septime (Leitton) wird. Bei der Bildung von Stufenakkorden auf Harmonisch Moll in Abb. 2 wird deutlich, dass sich der tonale Ursprung der kompliziertesten Akkorde im Jazz auf nur geringfügig alterierte (abgewandelte) Skalen zurückführen lässt. Auf diese Weise Akkorde zu bilden, ist absolut nicht immer sinnvoll. Aber oft ist das eine wichtige Perspektive zum Erkennen von Zusammenhängen zwischen Melodik und Harmonik. Im Falle von Harmonisch Moll ist die wohl wichtigste Erscheinung der Dur-Akkord auf der V. Stufe, der Dominante in der klassischen Mollkadenz.



Abb. 2

© 2001 by Wolfgang Fiedler